Wirtschaftliches Umfeld
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Die Weltwirtschaft steht spätestens seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 stark unter Druck. Zu den grössten Belastungen zählten im Berichtsjahr der Verlauf des Krieges, die Energiekrise, der Inflationsanstieg und gestörte Lieferketten.
Internationale Perspektiven
USA
Angetrieben vom starken Inlandskonsum erreichte die Wirtschaftsleistung der USA bereits im Sommer 2021 wieder das Vor-Corona-Niveau. Seither hat sich das Wachstum allerdings aus mehreren Gründen abgeschwächt: Wegfall der Transferzahlungen an die privaten Haushalte, durch den Inflationsanstieg verursachte Realeinkommenseinbussen und Abschwächung auf dem Häusermarkt als Folge der angehobenen Zinsen. Die Verbraucherpreise sind 2022 mit durchschnittlich 8.0 Prozent in einem seit 40 Jahren nicht mehr gesehenen Ausmass gestiegen. Dieser Anstieg ist nur zum Teil auf die höheren Energie- und Nahrungsmittelpreise zurückzuführen. Die finanz- und geldpolitischen Unterstützungsmassnahmen in der Coronakrise haben zu einer Überhitzung der US-Wirtschaft geführt. Die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) hätte die geldpolitischen Zügel deshalb früher straffen müssen.
Wegen der starken Teuerung hat die Notenbank den Leitzins ab März 2022 bis zum Jahresende um 425 Basispunkte auf 4.5 Prozent angehoben. Damit will sie den Arbeitsmarkt wieder ins Gleichgewicht bringen. Aufgrund des nach wie vor bestehenden Nachfrageüberhangs dürfte der Zinshöhepunkt noch nicht erreicht sein. In Anbetracht eines USD 1.2 Billionen schweren Infrastrukturpakets der Biden-Administration, das riesige Investitionen in Strassen- und Brückenbau, Wasserwirtschaft und Flughäfen vorsieht, sowie des «Chips and Science Act» zur Subventionierung der lokalen Computerchip-Industrie ist eine straffere Geldpolitik gerechtfertigt.
Eurozone
Das reale BIP-Wachstum in der EU überraschte in der ersten Jahreshälfte 2022 positiv, weil die Verbraucher nach der Lockerung der Covid-19-Eindämmungsmassnahmen insbesondere für Dienstleistungen wieder Geld ausgaben. In der Folge hat sich das Wachstumstempo wegen der hohen Inflationsrate und des globalen Nachfrageabschwungs aber verlangsamt. Wie der Rückgang der Gas- und Strompreise zeigt, dürfte die Energiekrise im Winter 2022 / 2023 ausbleiben. Trotzdem ist eine flache Rezession im Winterhalbjahr nicht auszuschliessen. Ob und wie schnell es zu einer wirtschaftlichen Erholung kommen wird, hängt wesentlich von der Entwicklung auf dem Energiemarkt und von der globalen Nachfrage ab.
Die Verbraucherpreise sind in der Eurozone im Jahr 2022 um 8.4 Prozent gestiegen. Die Inflationsrate erreichte somit den höchsten Wert seit Bestehen der Währungsunion. Hinter dieser Zahl verbirgt sich ein erhebliches Inflationsgefälle zwischen den Mitgliedsländern. So verzeichneten die baltischen Staaten 2022 Inflationsraten von mehr als 20 Prozent. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins nach anfänglichem Zögern seit Juli um insgesamt 2.5 Prozentpunkte auf 2 Prozent angehoben.
Trotz des schwierigen Umfelds entwickelte sich der Arbeitsmarkt weiterhin gut: Beschäftigung und Erwerbsbeteiligung waren so hoch wie nie zuvor und die Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dank des kräftigen Wirtschaftswachstums wurden in der ersten Jahreshälfte 2022 netto zwei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, wodurch die Zahl der Erwerbstätigen in der EU auf ein Allzeithoch von 213.4 Millionen stieg. Die Arbeitslosenquote blieb im September mit 6.0 Prozent auf einem Rekordtief.
Schweiz
Die Schweizer Wirtschaft hat sich im internationalen Vergleich zügig von der Coronapandemie erholt. Aufgrund der weltweiten Abschwächung der Nachfrage und steigender Verbraucherpreise hat sich das Wachstumstempo im zweiten Halbjahr verlangsamt. Die Experten des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) senkten deshalb die Wachstumsprognose für 2022 auf 2 Prozent. Im ersten Halbjahr 2023 ist voraussichtlich weiterhin mit einer flauen wirtschaftlichen Entwicklung zu rechnen. Eine Rezession ist aufgrund der Widerstandskraft aus heutiger Sicht aber wenig wahrscheinlich.
Die gestiegenen Energiepreise trugen auch in der Schweiz zu einer verhältnismässig hohen Inflationsrate von 2.8 Prozent bei. Sie lag damit zwar deutlich unter der Teuerung in anderen europäischen Ländern, aber klar über dem Inflationsziel der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Die Aufwertung des Schweizer Frankens, insbesondere gegenüber dem Euro, war mit ein Grund für die Begrenzung der Teuerung. Trotzdem sahen sich die Schweizer Haushalte den höchsten Teuerungsraten seit 2008 gegenüber.
Der Arbeitsmarkt entwickelte sich im ersten Halbjahr 2022 sehr günstig. Die Beschäftigung wuchs und im September 2022 betrug die Arbeitslosenquote nur 1.9 Prozent, womit sie so niedrig war wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Viele Bereiche der Wirtschaft beklagten Fachkräfteengpässe. Die allgemein erwartete Konjunkturabkühlung dürfte deshalb nur zu einem leichten Anstieg der Arbeitslosenrate führen.
Die fast achtjährige Phase negativer nominaler Geldmarktzinsen ist in der Schweiz am 22. September zu Ende gegangen, als die Nationalbank den Leitzins um weitere 75 Basispunkte anhob. Davor hatte sie im Sommer die Zinsschraube mit einem Schritt um einen halben Prozentpunkt erstmals seit 15 Jahren wieder angezogen. Am 16. Dezember straffte sie die Geldpolitik weiter und setzte den Leitzins um 50 Basispunkte auf 1.0 Prozent hinauf. Damit wirkte sie dem erhöhten Inflationsdruck der Teuerung entgegen.
Liechtenstein
Liechtensteins Konjunktur hat sich im Verlauf des Jahres 2022 merklich abgeschwächt. Der Konjunkturindex des Liechtenstein-Instituts «KonSens» fiel im dritten Quartal um 0.7 Indexpunkte auf minus 1.2 Punkte. Der Indexwert war zwar noch höher als während der Finanzkrise 2008 / 2009 und der Covid-19-Rezession 2020, lag aber im negativen Bereich, was ein im historischen Vergleich unterdurchschnittliches Wachstum signalisiert. Industrie und Dienstleister beurteilten am Ende des dritten Quartals 2022 die allgemeine Lage trotz steigender Energiepreise und Lieferengpässen noch immer weitgehend als befriedigend. Gegenüber dem zweiten Quartal hatte sich die Geschäftslage jedoch bei einer Mehrzahl der Unternehmen verschlechtert. Die Entwicklung dürfte auch im vierten Quartal fragil geblieben sein.
Die liechtensteinische Volkswirtschaft ist stark von ausländischen Absatz- und Beschaffungsmärkten abhängig. Auf die Schweiz, Deutschland und die USA entfällt mehr als die Hälfte der liechtensteinischen Warenexporte. Die direkten Warenexporte lagen im ersten Halbjahr 2022 um rund 12 Prozent unter dem Wert des Vorjahres. Der Finanzplatz blieb hingegen weiterhin auf Wachstumskurs. Die Umsätze der drei grössten Bankengruppen stiegen um 15 Prozent.
Der Arbeitsmarkt entwickelte sich positiv. Die Beschäftigung nahm um 3.5 Prozent zu. Die Arbeitslosenquote blieb niedrig. Dominierende Themen waren bei den Unternehmen die steigenden Preise sowie Unsicherheiten bei der Beschaffung von Rohmaterial. Der Arbeitskräftemangel entspannte sich kaum.
China
Chinas Wirtschaft ist 2022 um 3 Prozent gewachsen. Damit blieb sie deutlich unter dem Ziel der Staats- und Parteiführung von 5.5 Prozent. Es ist eines der schwächsten Ergebnisse seit Jahrzehnten. Nur im ersten Coronajahr 2020 lag das Wachstum noch etwas darunter.
Die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt sah sich 2022 mit mehreren Problemen konfrontiert: Die schwächelnde Weltwirtschaft führte zu einem Nachfragerückgang bei chinesischen Gütern. Durch die strikte Null-Covid-Politik und Lockdowns in Millionenstädten waren wichtige Industriezentren wie Shanghai, Guangzhou, Tianjin und Shenzhen teils während Wochen und Monaten stillgelegt. Die rigorose Coronapolitik dämpfte auch den privaten Verbrauch.
Die von der nationalen Statistikbehörde veröffentlichten Zahlen zeigen besonders deutlich, wie stark der Immobiliensektor, der in den Jahren vor der Coronapandemie ein grosser Treiber der chinesischen Wirtschaft war, eingebrochen ist. Investoren und Käufer sind zurückhaltend; viele Immobilienunternehmen sind hoch verschuldet.
Hinzu kommt die hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Chinesen. Die Arbeitslosenrate kletterte in der Altersgruppe von 16 bis 24 Jahren im Juli 2022 auf knapp 20 Prozent. Im November lag sie nach offiziellen Zahlen bei 17 Prozent. Der plötzliche Kurswechsel der chinesischen Regierung in der Coronapolitik hat die Zahlen der Infizierten in die Höhe schnellen lassen, was die wirtschaftliche Erholung vorerst dämpfen dürfte.
Die schwachen Wirtschaftsdaten aus China haben die asiatischen Aktienmärkte mehrheitlich nach unten gezogen. Die Inflation lag im Dezember 2022 bei 1.8 Prozent. Die Faktoren, die sich in den USA und Europa auswirkten, hatten auf die chinesische Inflationsrate nur eingeschränkt Einfluss. Die Zentralbank in Peking ging in den vergangenen Jahren mit grösserer Zurückhaltung vor. Extrem hohe Seefrachtkosten fallen nicht an, wenn chinesische Fabriken den Binnenmarkt beliefern. Der Krieg in der Ukraine treibt zwar auch in China die Preise für Energie nach oben, da sich Peking jedoch weder an einem Öl- noch Gasboykott gegen Moskau beteiligte, konnte dort weiterhin vergleichsweise günstig eingekauft werden.
Obligationenmärkte
Der Inflations- und Zinsschock hat an den internationalen Obligationenmärkten zu einem Kurseinbruch geführt, der durch die niedrigen Couponerträge kaum abgefedert werden konnte. Davon waren Staats- und Unternehmensanleihen gleichermassen betroffen. Obwohl sich die Kurse von Hochzins- und Schwellenländeranleihen gegen Ende des Jahres etwas erholt haben, konnten die Verluste nicht wettgemacht werden. Insgesamt kann man ohne Übertreibung von einem Jahrhundertcrash an den Obligationenmärkten sprechen.
Währungen
Die Geldpolitik war 2022 ein wichtiger Kurstreiber an den internationalen Devisenmärkten. So kletterte beispielsweise der US-Dollar gegenüber dem Euro nach den grossen Zinsschritten der US-Notenbank sowie der russischen Teilmobilmachung im September 2022 auf ein 20-Jahres-Hoch. Die steigenden Zinsen waren allerdings nicht der einzige Grund für die Dollarstärke. Börsianer verwiesen auch auf die Attraktivität des Dollar als «sicherer Anlagehafen».
Der Euro litt zudem unter dem unentschlossenen Vorgehen der EZB gegen den Inflationsanstieg. Erst als diese klar signalisierte, alles zu unternehmen, um die Verbraucherpreise auf ihre Zielvorstellung von 2 Prozent Teuerung zurückzuführen, wendete sich das Blatt Mitte November 2022 wieder zugunsten des Euro. Dabei dürfte auch die Aussicht eine Rolle gespielt haben, dass sich der Zinsvorsprung des US-Dollar verringern wird. Der Euro konnte gegenüber dem US-Dollar bis Ende des Jahres um rund 10 Prozent zulegen. Gegenüber dem Schweizer Franken hat der US-Dollar seine Gewinne von Anfang Jahr nahezu vollständig verloren.
Was den Euro-Franken-Kurs betrifft, hat die SNB eine Kehrtwende vollzogen. Mitte Juni erklärte sie erstmals, dass sie den Franken nicht mehr als überbewertet erachte. Der Euro-Franken-Kurs schien nach der Rückkehr der Inflation auf die Weltbühne nur eine Richtung zu kennen: Der Franken legte gegenüber dem Euro zu. Ab Herbst 2022 setzte eine Gegenbewegung ein, die sich beschleunigte.
Aktienmärkte
Das Börsenjahr 2022 war vom Zinsschock, globalen Unsicherheiten und hoher Volatilität geprägt. Unter diesen Bedingungen litten vor allem die hoch bewerteten Technologietitel. Nach Jahren der Outperformance gehörte der Nasdaq-Index in den USA zu den grossen Verlierern. Indizes, in denen Rohstoff- oder Industrieunternehmen höher gewichtet sind, haben 2022 besser abgeschnitten.
Die weltweiten Verluste an den Aktienmärkten waren gross: Der Dow Jones Industrial verlor 9 Prozent, der Nasdaq Composite 34 Prozent, der Nikkei 11 Prozent und der Euro Stoxx 50 11 Prozent. Ende Dezember 2022 lag der Leitindex des Schweizer Aktienmarktes SMI bei 10‘729.4 Indexpunkten und damit rund 17 Prozent unter dem Niveau von Anfang Jahr. Der globale Aktienindex MSCI World, der Aktien aus 23 Industrieländern abbildet, gab um 16.5 Prozent nach.